sonntag nachmittag

ich hüte einen schatz. 
ohne kiste und den üblichen schnickschnack.
 auch die goldtaler fehlen. an ihre stelle: schiefe goldzähne.
 einer links, zwei rechts. oder andersrum. die sieht man, wenn er lacht.

 seine grübchen haben sich in falten verwandelt. seine grauen haare fehlen. 
stattdessen trägt er einen viel zu alten hut vom BR. früher, meinte er, ja früher, stand sein kran direkt daneben, und er sammle doch hüte, wie solche eben, wie er alles sammelt.
 – man kann doch vergangenheiten nicht einfach wegwerfen, nur wenn sie ein bisschen beschädigt sind. sechs jahre krieg und drei jahre russische gefangenschaft, 30 jahre bau.
 er hat krebs, und er ist dement. lustig finden ihn die leute und ich schäme mich manchmal. 
heute ist er 89 jahre alt und wir machen einen ausflug.
 doch was macht man mit einem mann, den man ein paar stunden aus dem krankenhaus holt, der zu müde ist, auf die berge zu fahren, die er früher täglich bestiegen hat? dem beim autofahren schlecht wird, wenn es kurven gibt? die welt ist voller kurven, die kann man doch nicht einfach wegdenken.
endstation minigolf. rentnersport. gut. ich setze meine sonnenbrille ab und belächle die familien, die am sonntag nichts besseres zu tun haben, als achtzehnmal den ball in dasselbe loch zu schlagen. hier, meint mein opa, sei er ja gar noch nie in seinem ganzen leben gewesen. er übertreibt, wie er es immer tut. ich tue ihm den gefallen und staune. wir wundern uns über die billigen spielpreise, zu seiner zeit, sagt er, sei golf noch ein sport für die reichen gewesen. 
zweieuroachtzig und blitzschnell rattert es in seinem kopf. er ruft mit leiser stimme: zehn mark für beide, ist das nicht ne wucht! 

wir stürzen uns ins freizeitvergnügen. jede bahn ist ein wunder und die menschen um uns herum, schütteln die köpfe, überholen, schauen auf die uhr. mein opa lässt sich nicht beirren. toll ist das. siehst du wie ich das kann? toll ist das. ich schummle bei den zahlen und brauche immer einen schlag länger als er, um das loch letztendlich doch zu treffen. er tröstet mich, das nächste mal schaffst auch du es in elf anläufen, alles reine glücksache, so wie alles im leben.
 zweimal verliert er den schläger, was natürlich am plastik liegt. früher, hätte es so was nicht gegeben, früher nein, da gab es so was überhaupt nicht.
 wir lachen beide.
 früher war alles besser, ja sogar die zukunft. ja stalingrad wär machbar gewesen, hätten sie nicht gras fressen müssen und die granate in den bunker werfen, wo sich die bauerfamilie versteckt habe. die tochter hatte keinen kopf mehr, als sie aufgeräumt hatten, aber ein kleid, er hätte ja nichts machen können, er allein, was soll ein einzelner schon machen. ich sehe auf die uhr, zeit ins krankenhaus zurückzufahren. 

wir sitzen in der sonne und trinken wein. wie in italien. da muss er unbedingt mal wieder hin fahren. bald wenn er wieder ganz gesund ist, ganz bald. mit dem auto, da sei er schon lange nicht gefahren, diesen sommer nach italien, das wär`s.

 ich habe gewonnen, ruft er laut vor allen, als ich die zahlen ausgwertet habe, denkt man gar nicht, dass ich gewonnen habe, so knapp, lacht er, nur vier schläge weit, zu seiner zeit hat es so was ja nicht gegeben. die männer am nebentisch lachen in ihr bier hinein. 
ich zähle noch einmal nach immer und immer wieder, bis er es glaubt. 
nur 80 schläge auf 16 bahnen. 80 schläge, wie sein alter.

 doch die zahlen lügen nicht.

 nein, sie lügen wirklich nicht. 

ich streiche ihm übers haar und wir fahren zurück ins krankenhaus, um sechs uhr gibt es essen.
mai 2002

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